Ein Reisebericht von Wolfgang Achtelstädter
Früh um 4.00 Uhr haben wir uns wieder auf den Weg ins Kinderheim nach Cincu in Rumänien gemacht.
Im Vorfeld waren viele Fragen offen. Was wird uns an den Grenzen erwarten? Wird es Probleme geben wegen der Maul- und Klauenseuche? Wie ist die Lage im Heim? Pater Don und Viorel waren zu der Zeit auf einer Besuchsreise in Deutschland unterwegs. Wie werden wir dort empfangen und wie werden wir mit der Verständigung zurechtkommen? Natürlich gibt es auch in den Familien immer Bedenken bei solchen Vorhaben. Kommen die Familienväter alle gesund wieder nach Hause? Meine Tochter Anna sagte: „Ich brauche doch den Papa. Mit ihm ist es doch viel schöner!“ Auf der anderen Seite stehen sie natürlich auch hinter diesem Dienst und begleiten uns im Gebet.
Von der tschechischen Grenze hatten wir unterschiedliche Informationen ob es erlaubt ist, Lebensmittel mitzunehmen. Wir versuchten es in Reitzenhain. Aber ohne jegliche Kontrolle durften wir passieren. Nun hatten wir „viel“ Zeit gewonnen, denn über Österreich hätte es sonst bestimmt 4 Stunden länger gedauert. An der Tschechisch-Slowakischen Grenze interessierte sich der Zoll für unser Gepäck, nachdem wir das Reiseziel genannt hatten. So mussten wir einige Gepäckstücke aus dem Auto nehmen. Aber das war es auch schon.
Bei der Einreise in Ungarn das gleiche Spiel. Einen kleinen Unterschied gab es noch, die Autos mussten über eine Seuchenmatte fahren. Da es nun noch nicht einmal Mittag war, entschlossen wir uns diesmal nicht auf der Autobahn um Budapest herum zu fahren, sondern wir machten einen Abstecher in die schöne Hauptstadt Ungarns. Wir alle waren zu „DDR-Zeiten“ bereits einmal da gewesen und konnten uns an vieles erinnern. Wir suchten die Auffahrt zum Burgberg und fanden einen günstigen Parkplatz am Eingang zum Labyrinth. Zunächst stiegen wir die Treppen zur Burg hoch und genossen den wunderschönen Ausblick von der Fischerbastei. Die Matthiaskirche konnten wir nur vom Eingang aus bewundern, da sie wegen einer Hochzeit für Touristen geschlossen wurde. In dem jetzt öffentlich begehbaren Labyrinth unter der Burg schauten wir uns nur kurz einmal um. Dann suchten wir wieder den Weg aus der Stadt und fuhren weiter Richtung Szeged. In Balastya erreichten wir unser Tagesziel. Bevor wir Abendbrot aßen, machten wir einen kleinen Spaziergang. Verwundert waren wir über die recht noblen Häuser und die vielen Gewächshäuser in den Gärten. Auch war die Natur dem Erzgebirge Wochen voraus. Nachtquartier nahmen wir im Hotel Orchidee. Ehrlich gesagt, mit dem Hotel in Moson kann es weder in Hinsicht auf die Zimmern, das Essen oder die Lage mithalten. Das einzig Vergleichbare war der Preis.
Am nächsten Morgen ging es weiter. Nach kurzer Fahrt erreichten wir die rumänische Grenze. Die Spannung stieg. Vorsichtshalber hatte uns Friedrich Zollpapiere mitgegeben, da ein vorhergehender Hilfstransport 8 Stunden wegen fehlenden Papieren an der Grenze fest hing. Neu und für alle Touristen eine Erleichterung ist, dass man für die Einreise ins Land keinen Eintritt (Visum) mehr bezahlen muss. Bevor wir aber zur Zollabfertigung durften, mussten die Fahrzeuge durch eine Desinfektionsanlage fahren. Die Anlage sah fast wie eine Waschanlage aus, wo aus kleinen Düsen eine Flüssigkeit gesprüht wurde. Der wohl wichtigste Teil dieser Anlage war aber der Kassierer, der im „Dunst“ stand und von uns
2,00 DM Gebühren kassierte. Die weitere Durchfahrt hatte dann nur noch symbolischen Charakter. (Getreu Tetzels: „Die Münze in dem Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“) Die Zollabfertigung verlief im Eiltempo. Innerhalb einer halben Stunde war alles geklärt.
Wir drehten nun die Uhren um eine Stunde vor, in Wirklichkeit waren wir wieder um Jahre zurückversetzt. Die rumänische Landeswährung hat seit dem Herbst zur D-Mark wieder um 15 % eingebüsst. Für eine DM erhielten wir an der Grenze 12.350 ROL. Vor drei Jahren waren es reichlich 4.000 ROL. Der nächste Schock kam an der Tankstelle. Die Preise waren enorm gestiegen. Ein Liter Diesel kostete fast 1,20 DM, vor drei Jahren lag der Literpreis noch bei 0,50 DM. Wer soll das bezahlen, bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 150 bis 200 DM, fragten wir uns. Auf den Straßen spürten wir auch die Folgen, denn wir sahen kaum Autos – dafür immer mehr Pferdewagen.
Auf der E68, die mittlerweile sehr gut ausgebaut ist, kamen wir schnell voran. Da wir gut in der Zeit lagen, entschlossen wir uns, einen kleinen Umweg zu machen. Bei Deva bogen wir rechts ab und fuhren auf der E79 weiter. Der Belag wurde deutlich schlechter, aber die Landschaft dafür immer reizvoller. Wir überquerten die Karpaten bei Petrosani. Die Straße folgt dem Fluss Zsli. Daneben war in den Felsen eine Bahnstrecke gebaut - ein gigantisches Unterfangen. In der Stadt Tirgu Jiu verließen wir die Europastraße und fuhren an den Karpaten entlang bis Tismana. Dort besuchten wir das gleichnamige Kloster. Es liegt wunderschön auf einer Anhöhe zwischen weiten Bergwäldern. Es wurde 1380 gegründet und war jahrhundertelang ein Zentrum von Buchmalerei, Goldschmiede- und Holzschnitzkunst. Wir befanden uns in einer anderen Welt. Doch wir mussten weiter. Auf dem Parkplatz erlebten wir noch eine Hochzeit. Mit viel Gehupe und Getöse kam die Kolonne an. Dann wurde getanzt und gelacht. Jeder, der sich der Gesellschaft näherte, wurde zu einem Drink eingeladen. Als sie sich wieder aufmachten, kamen die Probleme der rumänischen Autos zum Vorschein. Gegenseitiges Anschieben und eine „kleine Spritze“ brachten aber alles wieder in Gang. Nach einem kleinen Imbiss setzten auch wir unsere Reise fort. Bis Rimnicu Vilcea fuhren wir an den Karpaten entlang. Auf der E81 durchquerten wir diese. Die Straße folgt dem Fluss Oldt, der uns nun bis fast nach Cincu begleitet. Es war ein wunderschöner Tag. Wir genossen den Frühling und das frische Grün.
Auf der halben Strecke zwischen Hermannstadt und Fagaras liegt das kleine Dorf Kertz. In der Hermannstädter Zeitung stand ein Bericht über eine Hausinschrift. Diese haben wir fotografiert. Pfarrer Reger haben wir dann noch einen Besuch abgestattet. Er ist einer von den wenigen deutschen Pfarrern, die noch in Siebenbürgen ihren Dienst tun. Er berichtete uns über die Kirche, die ein Teil von einem Zisterzienser Kloster war und der Gemeinde, die sich dort noch versammelt. Im Ort gibt es noch einige Deutsche, ja sogar Familien mit Kindern.
Mit Einbruch der Dunkelheit erreichten wir schließlich Cincu. Wir wurden herzlich empfangen. Radan, ein großer Junge aus dem Heim, der gut Deutsch spricht, war da und auch die derzeitige „Chefin“ des Heimes Minodora lernten wir kennen. Ein junger Mann, der jetzt als Fahrer angestellt ist, war uns in den nächsten Tagen als Dolmetscher eine große Hilfe. Nach dem Abendbrot, besprachen wir noch einige Dinge, die wir in den nächsten Tagen angehen wollten. Dann rief das Bett.
Am nächsten Morgen begannen wir mit einer kleinen Andacht und einem guten Frühstück. Die meisten Kinder waren in der Schule oder im Kindergarten. Da war es im Heim ruhig. Andreas fand wieder viele tropfende Wasserleitungen und Absperrventile. In der Kammer „Isernhagen“ tropfte es so stark, dass die darunter liegende Kapelle starke Wasserschäden aufwies. Aber zunächst wurde erst einmal für die Küche ein Ofen provisorisch im Neubau angeschlossen. Denn in den nächsten drei Tagen haben wir die Küche blockiert. Dort gab es Probleme wegen Schimmelbildung an der Decke. Die Hauptursache ist natürlich die fehlende Be- und Entlüftungsanlage. Wahrscheinlich wird der vorhandene kleine Lüfter auch nicht immer genutzt. Nach Rücksprache mit Fachleuten in Deutschland, entschieden wir uns für eine Paneele aus Plaste. Sie ist abwaschbar und da keine organischen Stoffe enthalten sind, dürfte sich auch kein Schimmel mehr bilden.
Das gesamte Material hatten wir aus Deutschland mitgebracht, so das wir ohne Suchen gleich loslegen konnten. Trotzdem dauerte es seine Zeit. Drei Tage lang, hatten wir alle Hände voll zu tun. Als das letzte Teil eingepasst war, waren wir froh. Zum Glück wurde kein Kabel beim Bohren der vielen Löcher beschädigt. Es sah alles sehr schön aus. Auch das Personal freute sich über die neue helle Decke. Als wir fertig waren, mussten sie noch die Fliesenfugen vom Schimmel reinigen. Dann glänzte alles. Wir hoffen, das sich die Arbeit gelohnt hat und viele Jahre hält.
Wie haben wir das Kinderheim erlebt? Die Kinder waren ordentlich gekleidet und die Räume waren sauber. Vormittags besuchen sie die Schule bzw. den staatlichen Kindergarten. Aufgrund des schönen Wetters waren die Kinder natürlich am Nachmittag viel draußen. Obwohl die Küche kaum benutzt werden konnte, bereiteten die Küchenfrauen in diesen Tagen wieder ein sehr gutes Essen zu.
Minodora und Viorels Frau hielten die Fäden zusammen. Pater Don steht mit seiner Autorität hinter Radan und dies weiß er zu nutzen.
Die schreckliche Nachricht vom Dezember vergangenen Jahres war der Brand des Holzhauses Maria Weling. Ein Teil der Kinder schlief dort und die Apotheke und Arztstation war auch mit untergebracht. Es ist schon ein Wunder, dass nicht noch mehr verbrannt ist und kein Kind körperlich verletzt wurde. Auf dem Fundament ist jetzt ein massiver Rohbau errichtet. Das Dach ist soweit fertig. Innen ist aber noch alles leer. Für den Ausbau hat Pater Don in den Osterbriefen um eine besondere Spende aufgerufen.
Eine Verbesserung ist, dass das Haus ans Gasnetz angeschlossen wurde. Die Wärme liefert jetzt ein moderner Viessmannkessel. Die beiden Heizungsanlagen wurden miteinander verbunden. Die freihängende Leitung im Keller hat Andreas wenigstens mit ein paar Schellen befestigt. Dringend erforderlich ist noch deren Isolation. Isoliermaterial gab es nicht zu kaufen, sonst hätten wir es gleich erledigt. Vorgesehen ist wohl auch eine zentrale Warmwasseraufbereitung, damit die vielen kleinen Boiler wegfallen.
Der marode Zustand der Gebäude ist aber unübersehbar, auch wenn äußerlich viel mit Farbe gemacht wird.
Am Donnerstag haben wir uns im Kinderheim verabschiedet. Zum Frühstück konnten wir noch mit Viorel sprechen, der mit der Reisegruppe aus Deutschland zurück war. Pater Don ist zur ärztlichen Behandlung in Deutschland geblieben.
Als Tagesausflug hatten wir uns die Bicaz-Klamm in den Ostkarpaten ausgesucht. Wir fuhren erst einmal nach Corund, um für unsere Familien etwas zu kaufen. Corund ist durch seine Töpferwaren bekannt. Aber auch Schnitzereinen und andere schöne Sachen werden dort angeboten. Dann ging die Fahrt in die Ostkarpaten. Von Praid aus geht es hinauf ins Gebirge. 30 km fährt man, ohne durch ein weiteres Dorf zu kommen. Kein Wunder, dass es hier noch Bären und Wölfe gibt. Der Straßenbelag ist wieder einmal sehr schlecht. Oft sind wir nur Schrittgeschwindigkeit gefahren, aber dafür konnten wir den herrlichen Wald genießen. Bei Georgheni überquerten wir eine riesige Hochfläche und dann geht es wieder in die Berge. Zur Mittagszeit waren wir am „Roten See“. Er entstand 1838 durch einen Erdrutsch. Jetzt noch ragen Baumstämme aus dem Wasser. Es war ein idealer Platz für das Mittagessen. Dann ging es hinunter zur Bicaz-Klamm. Im Volksmund wird sie auch Höllenschlund genannt. Durch den Kalksteinfelsen hat sich ein Flüsschen den Weg gebahnt. Daran entlang führt die Straße. Die Felswände sind über 100 m hoch und rücken bis auf 6 m aneinander. Ein Naturwunder, das man gesehen haben sollte. Bei dem Städtchen Bicaz kehrten wie wieder um. Jetzt konnten wir alles von der anderen Seite her bewundern.
Wir fuhren jetzt nicht mehr zurück nach Cincu, sondern blieben gleich in Praid bei Imre. Imre ist ein guter Freund, den wir schon lange kennen. Er hat mit einem Partner zusammen und mit Unterstützung aus Deutschland ein Sägewerk aufgebaut. Immerhin sind dort bis zu 20 Personen beschäftigt - für uns in Deutschland nicht vorstellbar. Aber so kann Hilfe aus Deutschland für viele Familien eine Hilfe sein. Nach dem Abendbrot, das ganz vorzüglich war, unterhielten wir uns noch. Imre erzählte uns von seiner Gemeinde und wie es früher in Rumänien war. Für uns nicht vorstellbar, dass zum Beispiel der Besitz von neuen Bibeln und deren Verbreitung mit Gefängnis bestraft wurde. Auch Kontakte zu Ausländern, selbst zu DDR-Bürgern waren streng verboten.
Am nächsten Morgen traten wir die Heimreise an. Eine weite Strecke lag vor uns. Wir wollten bis nach Moson an die slowakische Grenze kommen. Die Grenzabfertigung dauerte länger als bei der Einreise, aber ohne Probleme. Die Uhr konnten wir wieder um eine Stunde zurück drehen. In der Puszta schwitzten wir bei über 30°C Außentemperatur. Schade, dass das Auto keine Klimaanlage hat. Ein gewaltiges Naturereignis erlebten wir dann auf der Autobahn hinter Budapest. Wir fuhren in eine tiefschwarze Wolkenwand. Es stürmte und regnete wie aus Kannen. Die Außentemperatur fiel in wenigen Minuten um 20°C. Nach diesen Wetterkapriolen erreichten wir Moson. Das Hotel und auch das Essen war wieder Spitze. Der nächste Tag ist schnell erzählt. Die Fahrt durch die Slowakei und Tschechei verlief reibungslos. Am frühen Nachmittag trafen wir glücklich wieder bei unseren Familien ein.
Zum Schluss möchten wir unserem Herrn Dank sagen, dass er uns auf der Fahrt bewahrt und zu unserem Vorhaben Gelingen geschenkt hat. Bedanken möchten wir uns auch bei allen, die uns unterstützt haben. Stellvertretend möchte ich die Fa. Holzmarkt Fritzsch aus Crottendorf nennen. Wolfgang Achtelstädter
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